Todesursache Trennung- Interview zum Femizid an Anne M. und dem Mord ihres Sohnes Noah

Am 28. Juli 2017 werden Anne M. und ihr Sohn Noah brutal von Annes Ex-Partner Nasr-Eddine B., dem Vater von Noah, ermordet. Obwohl Anne zu diesem Zeitpunkt unter Polizeischutz steht und gegen den Täter ein Annäherungsverbot erteilt worden war, kann der 52-jährige an diesem Tag ungehindert Annes Wohnort aufsuchen. Er hat zwei Messer dabei, jeweils 20 Zentimeter lang. Als sie an diesem Morgen aus der Tiefgarage fährt, rammt er ihr Auto, zerschlägt erst die Heckscheibe, dann die Seitenscheibe auf der Beifahrerseite. Er klettert ins Wageninnere und sticht auf Anne ein, in ihre Brüste, ihren Oberkörper, ca 15 mal. Der 4-jährige Noah muss hinten im Kindersitz angeschnallt alles mit ansehen. Dann dreht er sich um und rammt das Messer  in den Hals seines Sohnes bis zum Oberkörper vor. Vergeblich kämpfen Polizisten, Notärzte und Rettungsassistenten um Anne und Noah M.s Leben. Bei beiden wurde der Tod bei der Einlieferung in die Uniklinik festgestellt.  Nur wenige Monate zuvor, im Dezember 2017, hatte sich Anne M. von ihrem Ex-Partner getrennt und lebte seither in Angst vor ihm.

Wie konnte es so weit kommen? Marianne Harms-Metzger, Annes Mutter und Noahs Großmutter hat mit uns gesprochen. Das Interview führte Johanna Wiest, Referentin für Häusliche und Sexualisierte Gewalt.

TDF: Frau Harms Metzger, Ihre Tochter war sieben Jahre mit ihrem Ex-Partner und späteren Mörder Nasr-Eddine B., zusammen, die beiden hatten ein Kind. Wie war diese Beziehung? Gab es Anzeichen für die spätere gewaltvolle Eskalation? Hätte man wissen können, wie groß die Gefahr war?

Marianne Harms-Metzger :Ja die gab es durchaus. Auf mich hatte er von Anfang an einen ziemlichen Hass, weil ich zu viele Fragen gestellt habe, zu viel wissen wollte, was ihm unangenehm war. Als das gemeinsame Kind dann da war, wurde das immer offener und intensiver. Als ich meine Tochter besuchen wollte, nachdem das Kind ein halbes Jahr alt war, hat er mir eine Nachricht geschrieben, dass ich mich ihm und seinem Kind nicht nähern dürfte. Er würde mich sonst abschlachten wie einen Hasen. Er hat also schon sehr früh angefangen massive Drohungen auszusprechen. Ich hatte den Eindruck, dass er wusste, dass meine Tochter durch das gemeinsame Kind an ihn gebunden war und dadurch hat sich auch sein Verhalten geändert. Er hat sie unter Druck gesetzt, sie nicht mitdiskutieren und mitentscheiden lassen. Freundinnen und Arbeitskolleginnen meiner Tochter haben später erzählt, dass er sie sehr stark kontrolliert, bedrängt und isoliert hat. Er hat Anne als seinen Besitz angesehen und genau verfolgt, was sie macht und mit wem sie sich trifft. Das war psychische Gewalt auf hohem Niveau.

TDF: Der Ex-Partner Ihrer Tochter hat also schon während der Beziehung psychische Gewalt ausgeübt und Drohungen ausgesprochen. Leider ist das ein Prädikator für die sogenannte Nachtrennungsgewalt. Laut dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) sind Drohungen im Kontext von Trennungen etwa zur Hälfte mit realisierter Gewalt verbunden. Die Situation war also sehr gefährlich. Hat Anne versucht sich Hilfe zu holen?

Marianne Harms-Metzger :Als sie beschlossen hatte sich von ihm zu trennen, wusste sie bereits, dass das große Schwierigkeiten geben würde. Sie hat sich etwa ein halbes Jahr vor ihrem Mord an das Jugendamt gewandt, um diese Sorge mitzuteilen. Sie wollte, dass sie und das Kind erfasst sind und bei den Behörden Informationen über ihren Fall vorliegen. Die Trennung hat sie heimlich geplant. Aber einen Tag vor ihrem geplanten Auszug hat ihr Ex-Partner gesehen, dass sie einen Rucksack gepackt hatte. Er hat ihn wieder ausgepackt und ihr gesagt, dass sie etwas Böses vorhabe. Er hat ihr gedroht das Blut fließen würde. Daraufhin hat sie die Polizei gerufen und eine Anzeige gemacht. Sie hatte große Sorge, dass die Trennung nicht friedlich abläuft.

Am Tag des Auszugs hatte sie Polizeischutz. Da standen acht Leute vor der Tür. Es waren zwei Polizisten dabei, der Vater von Anne, ihr Bruder, ein befreundetes Ehepaar und zwei oder drei Umzugshelfer. Das war eine Überraschung für den Ex-Partner meiner Tochter. Er wollte erst niemanden in die Wohnung lassen, aber die Polizei bestand darauf hineingelassen zu werden. Und dann war Anne im Gewaltschutzprogramm von Baden-Württemberg.

TDF: Wie ging es dann nach der Trennung weiter? Wie verhielt sich der Ex-Partner Ihrer Tochter?

Marianne Harms-Metzger :Die Schwierigkeiten begannen, als sie die Wohnung verlassen hatte, als sie ausgezogen war und das Kind mitgenommen hatte. Das war für ihn ein Kontrollverlust. Aber sie hatten ja das gemeinsame Kind, Noah. Das gab ihm die Möglichkeit weiterhin Macht über meine Tochter auszuüben. Er hat Anwälte eingeschaltet. Vom Familiengericht Freiburg hat er das Recht auf begleiteten Umgang zugesprochen bekommen. Es war den Behörden wichtig, dass Anne ihren späteren Mörder nicht treffen muss. Das wurde durchaus als sehr gefährlich eingestuft. Aber es wurde darauf bestanden, dass er sein Kind weiterhin sehen darf.

TDF: Und Ihre Tochter?

Marianne Harms-Metzger :Meine Tochter ist nach der Trennung in eine eigene Wohnung nach Tenningen gezogen, etwa fünf Kilometer entfernt von Emmendingen. Ihr Ex-Partner wusste ab diesem Zeitpunkt dann nicht mehr, wo sie sich aufhält. Außerdem stand sie unter Polizeischutz. Das sah wohl so aus, dass die Polizei dann vermehrt durch die Straße gefahren ist. Meines Wissens wurde darüber hinaus aber nicht viel gemacht. Mit ihrem Umzug wechselte aber auch die Zuständigkeit beim Jugendamt. Mein Eindruck war, dass beim Jugendamt in Emmendingen keine Informationen zum Fall meiner Tochter vorlagen. Es gab wohl keine Kommunikation dazu mit dem Jugendamt in Freiburg. Dann gab es Personalwechsel, Urlaubszeiten, Abwesenheiten. Die Kohärenz und Kooperation bei den Behörden, die zum Schutz meiner Tochter nötig gewesen wären, waren einfach nicht gegeben. Es wurde zwar ein Annäherungsverbot erteilt, aber das konnte sie nicht schützen.

TDF: Wie konnte es denn dann zum Mord an Ihrer Tochter kommen? Wenn sie doch unbekannt verzogen war, Polizeischutz hatte und ein Annäherungsverbot erteilt worden war?

Marianne Harms-Metzger :Er selbst hat ausgesagt, dass er die Adresse über das Jugendamt herausfinden konnte. Über die Zuständigkeit wusste er, wo sie sich ungefähr aufhält. Letztendlich wurde durch das umgangsrechtliche Verfahren ihre Adresse preisgegeben. Ich kann es selbst nicht verstehen. Den Behörden war ja bekannt, dass er Drohungen ausgesprochen hatte und dass meine Tochter Angst vor ihm hatte. Sie hatte ihn angezeigt. Ich denke auch, dass sein Verhalten auffällig gewesen sein müsste. Er war sehr fordernd, zeigte narzisstische Verhaltensmuster. Aber das wurde wohl alles nicht ernst genommen. Ein Psychologe vom Jugendamt sagte später sogar aus, er habe Mitleid mit diesem Vater gehabt, der sein Kind nicht sehen durfte. Ein Vater der der Mutter des Kindes massive Gewalt angedroht hat. Ich verstehe nicht, warum man so viel Empathie für diese Männer hat, wenn am Ende Frauen ihr Leben lassen. Und gleichzeitig wurde ein Annäherungsverbot ausgesprochen. Das zeigt ja durchaus, dass eine Gefährdung gesehen wurde. Es hat aber meiner Tochter keinerlei Schutz geboten. Es passt für mich alles nicht zusammen.

TDF: Gab es denn auf Täterseite Maßnahmen, die ergriffen wurden? Wurde er in irgendeiner Form überwacht?

Marianne Harms-Metzger :Nein, soweit ich es in der Kriminalakte gelesen habe, wurde da gar nichts gemacht. Er konnte sich weiter frei bewegen, während meine Tochter in Angst lebte und den Wohnort wechseln musste. Ich frage mich, wieso das Bürgerrecht eines Mannes höher eingestuft wird, als das Leben einer Frau?

TDF: Wie ging es Ihrer Tochter denn in der Zeit nach dem Auszug bis zu ihrem Mord?

Marianne Harms-Metzger :Ich hätte gern wesentlich mehr Kontakt mit ihr gehabt, aber sie war keine sehr mitteilungsbedürftige Person, hat nicht gerne telefoniert. Nach dem Auszug war ich zwei Wochen bei ihr und habe ihr geholfen die Wohnung einzurichten. Im Nachhinein denke ich an all die Fragen, die ich habe, auf die ich keine Antworten mehr bekommen kann. Es war ein Besuch bei mir geplant, zwei Monate nach dem Auszug, 2 Tage nach dem Mord.  Aber dazu ist es dann ja nicht mehr gekommen. Von Freundinnen und Kolleginnen meiner Tochter habe ich aber gehört, dass sie unendlich befreit war nach der Trennung. Eine ihrer Freundinnen sagte mir, sie habe jeden Tag gelebt, als wenn es ihr letzter sei. So intensiv. Sie wird sicher auch ein großes Nachholbedürfnis gehabt haben, nach der siebenjährigen Beziehung, in der sie so stark kontrolliert wurde. Aber sie hatte auch große Angst. Sie hat wohl gesagt: „Wenn ich keines natürlichen Todes sterben, möchte ich verbrannt werden. Und wenn ich eines natürlichen Todes sterbe, möchte ich eine normale Erdbestattung haben.“ Das sie mit 39 Jahren über so etwas nachgedacht hat, sagt für mich schon sehr viel aus. Mit ihrer Familie hat sie das alles nicht so geteilt, ich denke sie hat sich selbst verantwortlich gemacht und wollte uns auch schützen. Sie hat versucht das alleine durchzustehen. Nach ihrem Tod habe ich in ihren Sachen ein Buch gefunden mit dem Titel „Scham“. Auch das sagt für mich viel aus. Denn starke Schamgefühle sind sehr blockierend und halten davon ab sich mitzuteilen.

TDF: Was war Ihre Tochter für ein Mensch, Frau Metzger, und wie hat sie sich verändert in den Jahren während und nach der Beziehung mit ihrem Ex-Partner und späteren Mörder?

Marianne Harms-Metzger :Meine Tochter war sehr lieb und anpassungsfähig. Sie war eine ruhige, zurückhaltende Person, die sich nie in den Vordergrund gedrängt hat. Die sich immer zurückgenommen hat und immer anderen den Vortritt gelassen hat. Sie war eine gute Zuhörerin. Sie war eine sehr empathische Frau. Auch sehr hilfsbereit. Das hat ihr Ex-Partner denke ich sehr ausgenutzt. Das ging auch drei Jahre lang gut, aber es war ihr schon klar, dass sie nicht mit ihm zusammenbleiben kann. Leider ist sie dann schwanger geworden. Und dadurch hat sich viel verändert. Dann hat sie sich immer mehr zurückgezogen, wurde immer stiller. Ich hatte immer das Gefühl, sie ist lebendig begraben gewesen. Nach der Trennung war sie dann wieder mehr sie selbst, wurde wieder lebendig. Sie erzählte wieder mehr. Sie hatte wieder Überlegungen. Gedanken. Sie hatte Visionen für die Zukunft.

TDF: Was sollte Ihrer Meinung nach getan werden, um Femizide zu verhindern?

Marianne Harms-Metzger :Ich denke, dass Frauen in gewaltvollen Beziehungen zu viel aufgebürdet wird. Die Schamgefühle, dich ich vorher angesprochen hatte, spielen dabei eine große Rolle. Als Gesellschaft sind wir dabei mitverantwortlich. Im Zentrum der Debatte stehen immer Fragen zum Verhalten der Frau. Warum hat sie sich auf so einen Typen eingelassen? Warum geht sie nicht einfach? Das ist unglaublich lähmend und es isoliert. Die Schuldgefühle und die Scham halten Frauen davon ab sich Hilfe zu suchen und machen sie noch angreifbarer. Dabei liegt die Schuld und die Verantwortung gänzlich beim Täter. Für Frauen in solchen Situationen müssen vielmehr Hilfsangebote von außen kommen. Auf Ebene der Behörden muss die Gefahr, die im Trennungskontext von gewalttätigen Männern ausgeht, sehr viel ernster genommen werden. Drohungen werden viel zu oft wahr gemacht. Die Zeit nach der Trennung kann extrem gefährlich sein. Wir müssen den Schutz von Frauen und Kindern priorisieren, nicht die Rechte der Männer auf Umgang mit ihren Kindern. Es muss einfach erkannt werden, dass eine Gefahr für die Sicherheit und für das Leben dieser Frauen besteht. Gerade auch bei psychischer Gewalt, die sich sehr viel schwerer nachweisen lässt. Und man muss den Frauen glauben und lernen ihr Verhalten und das der Täter richtig einzuordnen. Männern scheint es in diesen Situationen besser zu gelingen sich gut darzustellen, während Frauen und ihre Angst nicht ernst genommen werden. Das ist furchtbar unfair. In Spanien gibt es zum Beispiel die elektronische Fußfessel, die Gefährder und Gefährdete tragen müssen. Wenn sich der Gefährder der Frau annähert, wird ein Alarm ausgelöst. So können Femizide verhindert werden und die Last ständig über die Schulter sehen und Angst haben zu müssen wird den Frauen abgenommen. Das würde ich mir für Deutschland auch wünschen.

TDF: Wie wurde der Fall vor Gericht verhandelt und welche Strafe hat der Mörder Ihrer Tochter bekommen?

Marianne Harms-Metzger :Es war eine relativ kurze Gerichtsverhandlung mit acht Verhandlungstagen. Das Urteil lautete lebenslänglich mit besonderer Schwere der Schuld. Die Tötung von Anne wurde als Mord gewertet, während die Tötung ihres Sohnes Noah als Totschlag gesehen wurde. Jetzt lebe ich mit der Angst, dass der Täter eventuell früher freikommen könnte. Ich glaube nicht, dass man mich dann besser schützen wird, als es bei meiner Tochter der Fall war.

TDF: Was sind Ihre Forderungen an den Staat Frau Harms-Metzger? Was müsste getan werden, um Femizide zu bekämpfen?

Marianne Harms-Metzger :Die Annäherungsverbote bringen meiner Meinung nach nicht viel. Das kann ja gar nicht umfassend kontrolliert werden. Deswegen bin ich für die elektronische Fußfessel. Dann ist wenigstens nachvollziehbar, wo der Täter sich aufhält, und die Polizei wird benachrichtigt, wenn er sich der gefährdeten Person nähert. Außerdem müssen die Behörden besser zusammenarbeiten. Es muss einheitliche Vorgehensweisen zur Einstufung der Gefährdung geben, auf die dann schnell und effektiv reagiert wird. Auch das Jugendamt müsste viel besser für solche Situationen sensibilisiert sein. Es kann doch nicht sein, dass bei so einer akuten Gefährdung den Männern ermöglicht wird über das gemeinsame Kind und die Umgänge an die Frau ranzukommen. Das passiert wohl häufig. Ich finde in solchen Fällen müsste man den Gefährdern gleich das Sorgerecht entziehen. Für die Frauen müsste es mehr Beratung geben und wirksame Hilfsangebote. Außerdem müsste der Fokus mehr auf den Gefährdern liegen. Sie müsste man ansprechen. Man sollte sie in Programme aufnehmen, in denen sie psychologisch betreut und überwacht werden. Es darf nicht sein, dass es die Frauen sind, die wegziehen und sich verstecken müssen. Der Mord an meiner Tochter hätte vermieden werden können. Da bin ich mir sicher. Es ist einfach unfair.

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